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Pakt für Migration und Asyl
Auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Antwort

Autor: Angela Ostlender

Am 10. April 2024 nahm das Europäische Parlament zehn Gesetzestexte zur Reform der europäischen Migrations- und Asylpolitik an. In einer Diskussionsveranstaltung erörterten wir Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Antwort.

Der lange Weg zu einer effizienten Migrations- und Asylpolitik

Der neue "Pakt für Migration und Asyl" der Europäischen Kommission, der im September 2020 unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt wurde, zielte darauf ab, einen nachhaltigen Rahmen für die Regulierung von Migration zu schaffen, der die politischen Verflechtungen der Mitgliedstaaten berücksichtigt. Im Jahr 2023 unternahmen sowohl die schwedische als auch die spanische Ratspräsidentschaft erhebliche Anstrengungen, um den Verhandlungsprozess voranzutreiben, was kurz vor Jahresende zu einer "historischen Einigung" über zentrale Vorschläge führte.

Das neue Gesetzespaket der EU spiegelt auch die Erwartungen der Bürger wider, die Rolle der EU bei der Bekämpfung von irregulärer Migration zu stärken und gleichzeitig den Schutz der Außengrenzen der Union zu verbessern, und zwar in einer Weise, die die Menschenrechte wahrt. Dies erfordert eine einheitliche Anwendung der Vorschriften für die Erstaufnahme von Migranten und eine Reform des europäischen Asylsystems, die auf den Grundsätzen der Solidarität und einer gerechten Verteilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten beruht.

Der neue Pakt: Nicht perfekt, aber notwendig

Nach fast einem Jahrzehnt unermüdlicher Bemühungen und hohem Engagement liegt endlich ein greifbares Ergebnis für einen gemeinsamen europäischen Ansatz zur Steuerung der Migrations- und Asylpolitik vor. Obwohl dieser nicht alle Interessengruppen zufriedenstellt, markiert er einen notwendigen Schritt, um die derzeit fragmentierte und unbefriedigende Situation zu lösen und den unkoordinierten Ad-hoc-Reaktionen ein Ende zu setzen.

Das Europäische Parlament hat sich mehrheitlich zugunsten des Migrations- und Asylpakts ausgesprochen. Während die vorherrschenden Fraktionen der Mitte im Europäischen Parlament eine starke Kompromissbereitschaft gezeigt und eine gemeinsame Basis erarbeitet haben, bestehen in einigen nationalen Delegationen weiterhin Meinungsverschiedenheiten. Gruppen am äußersten linken und rechten Spektrum sowie innerhalb der Grünen Parteien und bestimmter zivilgesellschaftlicher Organisationen vertreten eher extreme Standpunkte, die von Forderungen nach völlig offenen Grenzen bis hin zu einer vollständigen Schließung der Grenzen für Schutzsuchende auf EU-Gebiet reichen.

Alle Redner waren sich einig, dass der Pakt ein erster Schritt oder, wie Hugo Brady es nannte, "das Ende vom Anfang" sei. Die wirksame Umsetzung des Paktes ist mit weiteren Herausforderungen verbunden. Auch dass das Abkommen nur mit qualifizierter Mehrheit unter den Mitgliedstaaten abgesichert werden konnte, verdeutlicht die potenziellen künftigen Risiken, die sich aus einer sich verändernden politischen Landschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten ergeben könnten. Die Frage, ob die Gesetze die Abstimmungsprozesse in allen nationalen Parlamenten erfolgreich durchlaufen werden, ist ebenfalls offen. Darüber hinaus sind strittige Themen, wie die obligatorische Solidarität, nach wie vor sehr emotional und spaltend und verdeutlichen die Schwierigkeit, einen umfassenden Konsens in allen Teilaspekten zu erzielen.

Aus Sicht der Mitgliedstaaten ist offensichtlich, dass das derzeitige System versagt hat und rasch reformiert werden muss. Peter Robberecht erklärte, dass Belgien beispielsweise seit dem Ende der Corona-Krise mit einem anhaltenden Zustrom von Asylanträgen und dem daraus resultierenden Druck zu kämpfen habe. Dem Land fehlten die Ressourcen, um eine so große Zahl von Asylanträgen effizient zu bewältigen, was auch zu einer deutlichen Stärkung rechtsextremer Parteien geführt habe, die für die Schließung von Aussengrenzen eintreten.

Für die von Sekundärmigration betroffenen Länder, wie Deutschland und Belgien, ist es entscheidend, dass die Ersteinreiseländer ihre Kapazitäten für obligatorische Grenzregistrierungen ausbauen und diejenigen Personen unterstützen, die eine reale Chance auf Asyl haben, während sie gleichzeitig die Einreise für nicht schutzberechtigte Personen verweigern. Eine kollektive Lastenteilung ist für eine wirksame Steuerung der Migrationsströme und die Bekämpfung von Menschenschmugglern unerlässlich. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl von Mitgliedstaaten, die innerhalb des Schengen-Raumes Grenzkontrollen durchführen von sechs (in 2019) auf zwölf angestiegen. Dies ist keine gute Vorraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt. Eine Verringerung von Binnengrenzkontrollen wäre daher ein positives Zeichen für die erfolgreiche Umsetzung des Pakts.

Zum ersten Mal hat die EU ein umfassendes Mandat, um eine gemeinsame Migrations- und Asylpolitik von der Mitte aus aufzubauen und sich vom bloßen Gesetzgeber zum Hauptakteur und operativen Organ zu wandeln. Der Neue Pakt für Migration und Asyl ist nicht nur EU-intern ein kolossales Vorhaben. Auch weltweit stellt er ein einzigartiges Modell dar, das von Grund auf neu entwickelt werden muss und für das keinerlei Blaupausen bestehen.

Nächste Schritte: Umsetzung, Chancen und Fallstricke

Der Pakt beruht in erster Linie auf der Annahme, dass die jeweiligen Verwaltungen in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen. Folglich müssen die Mitgliedstaaten eine Art „Verwaltungsrevolution“ durchführen, insbesondere in den Ersteinreiseländern, um eine effiziente Umsetzung der notwendigen Maßnahmen zu gewährleisten. Darüber hinaus ist ein Mentalitätswandel in den Ländern, die sich immer noch der Solidarität verweigern, dringend erforderlich. Die größten Volkswirtschaften der EU haben sich im Zuge des wachsenden Fach- und Arbeitskräftemangels bereits verpflichtet, eine große Zahl legaler Migranten aufzunehmen, was einerseits den Zustrom irregulärer Wirtschaftsmigranten verringern könnte, jedoch eine koordinierte, kluge und zielgerichtete Politik erfordert.

Auch die technischen Anforderungen sind beträchtlich, wie beispielsweise die dringend benötigte Modernisierung der Eurodac-Datenbank und Weiterentwicklung von Grenzverwaltungssystemen. Darüber hinaus berührt das Thema verschiedene nationale Zuständigkeiten wie Inneres, Äußeres, Wirtschaft und Soziales, was schnelle Lösungen erschwert, insbesondere wenn es um die Finanzierung geht.

Laut Natasha Bertaud arbeitet die Kommission derzeit an einem Umsetzungsplan, um die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu unterstützen und zu überwachen und gleichzeitig eine angemessene Finanzierung im kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) sicherzustellen. Gut Ding will Weile haben, doch die EU darf sich nicht nur der Aufarbeitung vergangener Herausforderungen widmen, sondern auch denen, die sich bereits am Horizont abzeichnen. Es ist von entscheidender Bedeutung, die noch ausstehenden Legislativvorschläge des Paktes, wie die Rückführungsrichtlinie, die Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels oder die Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, aufmerksam weiterzuverfolgen. Während erste positive Ergebnisse innerhalb der EU-Grenzen relativ bald sichtbar werden könnten, erfordert die externe Dimension mehr Aufmerksamkeit. Der jüngste Paradigmenwechsel, den die EU mit der Einbettung von Migrationspolitik in multilaterale Abkommen zur Wahrung ihrer Interessen begonnen hat, steckt noch in den Anfängen. Hierzu gehört auch die Notwendigkeit, eine europäische Rückführungskultur zu entwickeln, die anerkennt, dass Personen, die keinen Schutz mehr benötigen, die EU auch effektiv wieder verlassen müssen.

Eleonora Milazzo äußerte in diesem Zusammenhang die Befürchtung, dass der Pakt die Übertragung von Verantwortlichkeiten auf Nicht-EU-Länder, insbesondere in Nordafrika und auf dem westlichen Balkan, verstärken könnte. Um die im Pakt skizzierten Herausforderungen wirksam anzugehen und gleichzeitig ihr außenpolitisches Handeln zu stärken, sollte die EU über einen rein transaktionalen Ansatz mit den Partnerländern hinausgehen. Stattdessen sollte sie anerkennen, dass die Zusammenarbeit in Fragen der Bevölkerungsmobilität nicht nur ein Mittel zur Abschreckung spontaner Einwanderungen sein soll, sondern vielmehr einen Bereich von strategischer Bedeutung für die EU darstellt.

Ausblick

Als nächstes muss der Europäische Rat das Paket noch förmlich verabschieden. Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union sollen die neuen Vorschriften innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht übernommen sein und in Kraft treten. Erst in den kommenden Jahren wird sich daher zeigen, ob die Maßnahmen des Pakts den Praxistext bestehen und ob die Mitgliedstaaten in der Lage und bereit sind, diese auch tatsächlich umzusetzen. Der Pakt beruht auf einem fragilen Kompromiss, in dem sich die EU-Ersteinreiseländer verpflichten, umfassende Kontrollen an den Grenzen durchzuführen und Asylanträge zu bearbeiten, während sie gleichzeitig die Rückführung von Personen ohne Aufenthaltsrecht erleichtern. Im Gegenzug erklären sich andere Mitgliedstaaten bereit, Flüchtlinge aufzunehmen oder sich an den damit verbundenen Kosten zu beteiligen. Darüber hinaus gilt auch die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern, insbesondere im Hinblick auf die Aufnahme abgelehnter Antragsteller, noch als problematisch. Die verschiedenen Dimensionen des Pakts sind eng miteinander verflochten. Daher ist es wichtig, dass auf allen Ebenen Fortschritte erzielt werden, um das Gleichgewicht zu halten und die Funktionsfähigkeit sicherzustellen.

Mittel- bis langfristig soll der Pakt dazu beitragen, das Geschäftsmodell von Menschenhändlern und Schleppern zu zerschlagen und die Zahl irregulärer Einreisen zu verringern. Menschen sollen sich nicht mehr auf die gefährliche Reise nach Europa begeben, wohl wissend, dass ihre Chancen auf ein Bleiberecht gering sind. Zielgerichtete Informationskampagnen und die Wirksamkeit maßgeschneiderter Unterstützung für lokale Infrastrukturen, die zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen beitragen und neue Chancen für eine lebensfähige Zukunft bieten, werden zur Erreichung dieses Ziels eine entscheidende Rolle spielen.

Gruppenbild mit Michael Hinterdobler, Dr. Eleonora Milazzo, Peter Robberecht, Markus Ferber, MdEP, Dr. Loredana Teodorescu, Natasha Bertaud, Hugo Brady, Dr. Thomas Leeb (v.l.n.r.)

Angesichts der Herausforderungen, die mit der Verabschiedung des Pakts für Migration und Asyl verbunden waren, haben das Europa-Büro der Hanns-Seidel-Stiftung und das Istituto Luigi Sturzo die Fortschritte der letzten Jahre verfolgt. In den Jahren 2021 und 2023 fanden zwei paneuropäische Politikdialoge statt, die Entscheidungsträger, Experten und andere Interessenvertreter aus verschiedenen Sektoren und Ländern zusammenbrachten, um die Zusammenarbeit zu fördern, Perspektiven auszutauschen und die Grundlage für substanzielle Diskussionen zu schaffen. In einer kürzlich erschienenen Publikation wurden die Erkenntnisse aus diesen Expertengesprächen zusammengefasst und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

Am 10. April 2024 führten wir darüber hinaus eine Diskussionsveranstaltung über die potenziellen Vorteile und Auswirkungen der neuen Regeln und Strukturen des Pakts für Migration und Asyl durch. Natasha Bertaud, stellvertretende Kabinettschefin von Kommissionsvizepräsident Schinas, und Peter Robberecht, Stabschef der belgischen Staatssekretärin für Migration und Asyl, gaben wertvolle Einblicke in die verschiedenen Aspekte des Pakts, einschließlich seiner Chancen und Herausforderungen. Unter der Leitung von Dr. Loredana Teodorescu, Leiterin der Abteilung für EU- und internationale Angelegenheiten am Luigi Sturzo Institut, diskutierten wir außerdem mit Eleonora Milazzo, Research Fellow am EUI Migration Policy Center / Robert Schuman Centre, und Hugo Brady, Senior Strategic Advisor am International Center for Migration Policy Development (ICMPD), über Überlegungen zur Umsetzung des Pakts und Strategien zur Überwindung möglicher Hindernisse.

                                                                   

Laden Sie hier unsere Publikation zum Thema herunter:

Unsere Publikation (in englischer Sprache) befasst sich mit den Möglichkeiten, die sich aus den neuen Elementen des Pakts für Migration und Asyl ergeben, den wichtigsten Herausforderungen bei der Umsetzung des Pakts und der Gewährleistung der Wirksamkeit der vereinbarten Maßnahmen. Vor allem aber geht es um die Frage, ob der Pakt die Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen mit den besten Instrumenten ausstattet, um künftige Migrationskrisen zu verhindern und die Migrationsströme wirksam zu steuern.

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie hier:

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